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Der Erste Tag

Ein kleiner Einblick in die Gedanken, die ich mir in den ersten Stunden meiner Reise gemacht habe. Nur etwas sortierter als in meinem Kopf. 

Es ist verrückt wieviel Spaß mir die ersten Stunden auf dem voll beladenen schwergewichts-Helge machen. Das Kopfstein Pflaster der Bille Häfen schüttelt mich durch und stinkende LKWs brettern an mir vorbei. Trotzdem muss ich ständig lachen. 

Es fühlt sich an, als würde die Energie meiner Ankunft bei Le Mont Saint Michel direkt in mich übergehen. Außerdem habe ich eine Vorstellung was mich auf dieser Reise erwarten könnte. Und Fokus. Fokus auf den Weg und auf die Ankunft. Ganz anders als letztes mal, wo es mir fast ausschließlich ums Fahren ging und ich völlig ahnungslos war worauf ich mich einstellen sollte. Definitiv eine wunderbare Erfahrung, aber nicht der richtige Modus für meinen Weg zum Olymp.


Denn diesmal will ich ein Zeichen setzen.


Versuchen etwas zu erreichen, was ich mir selbst vor wenigen Jahren nicht hätte träumen lassen.


Diese Reise verbunden mit meiner Spendenaktion ist genau das für mich.


Während ich so vor mich hinlache, biege ich irgendwann links und direkt wieder rechts ab. Plötzlich bin ich nichtmehr im Industriehafen sondern am Deich in Vierlande. Wie ist denn das jetzt so schnell passiert? Alles ist grün der Asphalt glatt und in den sanften Kurven ist kein Auto unterwegs. Spoileralarm: Ich liebe die Natur und ich liebe es draußen zu sein! Während sich meine Euphorie bei all der Schönheit ins unermessliche steigert, fällt mir ein Schild am Straßenrand auf.


Ich fahre weiter und genieße noch eine Weile die Idylle während ich völlig ausgeruht auf Helge dahinrolle. Was das Gepäck wohl insgesamt wiegt? Ich will eine Waage finden, auf die ich raufpasse…


Wieder das Schild.


Während ich in die Pedalen trete, merke ich dass sie nicht so recht zu meinen Schuhen passen. Zu glatt und hart. Ich brauch Stahlpedale für meine Wanderschuhe. In Berlin hole ich neue.


Schon wieder dieses Schild. 

Diesmal realisiere ich was draufsteht.


KZ-Mahnmal Neuengamme

Hier rechts abbiegen.


Bis ich ganz verstanden habe, was da eigentlich steht, bin ich schon vorbeigefahren. Nach 50 Metern drehe ich um, biege in die Allee zur Gedenkstätte ein und sehe hinter dem Buchenwald schon das gut 20 Meter hohe Mahnmal.


Sofort ändert sich meine Stimmung. Nicht wie im Comic, dass Gewitterwolken ins Bild ziehen und es zu blitzen und donnern beginnt, sondern viel ruhiger. Mit jedem Meter den ich dem Mahnmal näher komme, klärt sich meine Sicht. Die Überschwänglichkeit der Euphorie verfliegt und eine Klarheit tritt an ihre Stelle. Der Grund warum ich das ganze eigentlich mache, rückt in den Fokus:


Freiheit für mich und Freiheit für alle anderen.


Das Unrecht des Holocaust will ich nicht mit Putins Krieg gegen die Ukraine gleichsetzen. Trotzdem erinnert mich diese wohl größte Gräueltat aller Zeiten an diesen unfassbar ungerechten Kampf den die Ukrainer:innen gerade für ihre Freiheit austragen müssen.


Das Trauma, das daraus hervorgehen wird, wird dieses junge Land für die folgenden Generationen begleiten. Zu lernen trotz dessen aufzublühen wird wohl eine der größten Herausforderungen für die Menschen. Für mich eine unvorstellbare Herausforderung. Und doch eine, die schon jetzt angegangen werden kann. Und dabei möchte ich helfen. Kindern einen Weg zu zeigen, mit dem Trauma umzugehen und es letztlich zu bewältigen, statt es mit sich rumzutragen. Statt Risse und Gräben zu verschweigen – wie es in der Vergangenheit immer passiert ist – und sie sich vertiefen zu lassen, habe ich die Hoffnung, dass frühe psychologische Hilfe uns auch vor zukünftigem Hass und Rachefeldzügen bewahren kann. Ich weiß nicht, ob das so ist. Ich weiß aber wie sich Kriegstraumata über Generationen weitergeben und einen Schatten werfen, der nicht von der Hand zu weisen ist. Und lieber will ich als naiver Optimist scheitern, als mich als Pessimist bestätigt zu sehen.


Das alles geht mir durch den Kopf.

Ich sitze wohl eine halbe Stunde am Mahnmal, bevor ich mich wieder auf den Weg mache.


Nicht frei von einem gewissen Stolz. Denn – und ich denke das so frei sagen zu können – ich bin stolz auf dieses Projekt. Es bedeutet mir weit mehr als alle gesellschaftlich anerkannten Leistungen meines Lebens. Mehr als mein Bachelor Abschluss und mehr als mein Autoren-Status. Auch mehr als mein Job. Denn immerhin ist es das erste Projekt, dass ich ausschließlich intrinsisch motiviert umsetze, in dem es nicht nur um die Selbstbespaßung geht. Auch wenn diese natürlich elementarer Bestandteil ist.


Als ich an der Elbe ankomme, fühlt es sich an, als würde die Tour richtig losgehen. Rechts der Fluss, das Vorland, der Deich und die Schafe. Vor mir die Straße und zwei Monate voller Ungewissheit. Zwei Monate, auf die ich mich unfassbar freue. Zwei Monate, von denen schon die ersten Stunden so viel bereitgehalten haben. Zwei Monate mit einem klaren Ziel und einer einfachen Aufgabe.


Mit dem Rad zum Olymp.


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