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Der Erste Regen

Ein Einblick in all die Gefühle, die ein wenig Wasser auslösen kann, wenn es endlich vom Himmel fällt. 

Wie so oft in diesen Tagen rolle ich auf Helge dahin. Die Ellenbogen auf dem Lenker, den Kopf gerade so hoch gehoben, dass ich weiter als bis zur Reifenspitze schauen kann. Von mehr als rollen kann wirklich nicht die Rede sein. Wenn ich meinen Kopf doch mal drei Zentimeter hebe, sehe ich flimmernde Luft über dem Asphalt. Die Hitze schlägt mir entgegen und zerrt an meinen Kräften. Dabei bin ich heute erst 60 km gefahren. An guten Tagen meine Distanz vor der Mittagspause. Heute fühlt es sich an, als wäre ich kurz vor dem Ende meiner Tagestour. Im Schatten einer Linde mache ich eine Pause. Aber auch der Pflaumenkuchen, vom Bäcker und der Blick auf den Dorfteich eines dieser durchschnittlichen Brandenburgischen Dörfchen wollen die Kraft nicht zurückbringen. 


Trotzdem setze ich mich nach einer kleinen Weile wieder aufs Rad. Immerhin will ich morgen in Dresden ankommen und von einem guten Schlafplatz fehlt jede Spur.

Gerade als ich losfahre grollt der erste Donner durch den Himmel. In einiger Entfernung ziehen sich Wolkenberge zusammen und eine steifer Gegenwind lässt meine Beine brennen. Nicht das erste Mal, dass ich diese Phänomene beobachte, ohne danach auch nur einen Hauch von Regen zu spüren. Daher bleibt meine Hoffnung zunächst gedämpft und der Ärger über den Wind behält die Überhand. Doch dann zieht sich auch über mir der Himmel zusammen und die Luft kühlt ab. Die ersten Tropfen fallen durch das Dach aus Kiefernnadeln, das den Radweg überspannt. Erst zögerlich, dann stetig und dann werden es immer mehr. Bald schon klebt mein Hemd an mir und das Wasser läuft mir in die Schuhe. Ich spüre wie alles um mich zu vibrieren beginnt und wie der gesamte Wald aufatmet, die Poren öffnet und das frische Nass aufsaugt. Die Energie, die mich umgibt ist unglaublich. Dass ich meine Regenjacke nicht anziehe, ist eine bewusste Entscheidung. Denn der Regen gibt Kraft und spätestens als es wie aus Eimern zu schütten beginnt durchströmt sie jede Zelle meines Körpers, der eben noch halb tot auf der Straße hing. Der Staub wäscht sich aus meinen Augen und von der Seele. 


Wasser ist Gott. 


Die Grundlage von allem Leben.

 

Eine Tatsache, die mir in den letzten Tagen viel zu häufig vor Augen geführt wurde, als ich an Bäumen vorbeifuhr, die schon im August ihr Laub abwarfen und den Elbwasserstand bei 1,30m statt 3,50m im Normalzustand sah. Das Land ist trocken und das Leben leidet. Genau deswegen ärgere ich mich keineswegs über diesen Regen. Ich freue mich, genau wie der Wald um mich, über jeden einzelnen Tropfen, der mir uns Gesicht schlägt. Inzwischen sind es so viele, dass ich kaum noch den Weg vor mir sehen kann. Blitze zucken durch den Himmel und Sekundenbruchteile später folgt der Donner. Das Gewitter ist genau über mir. Ich ziehe mein Hemd aus. Das warme Nass läuft meinen Körper hinunter und füllt meine Schuhe gänzlich und läuft aus den untersten Schnürsenkellöchern wieder hinaus.


Nach 30 Minuten ist alles vorbei. Ein weiterer Grund, weshalb ich diesen Regen ausschließlich in positiver Erinnerung behalten werde. Denn Dauerregen kann auch mir den Tag versauen. Aber dazu an anderer Stelle mehr. 


Energiegeladen fahre ich weitere 20 km, bis ich an ein schönes Fleckchen am Senftenberger-See entdecke. Ein FKK-Strand unter Kiefern. An einer der ältesten rekultivierten Kohlegruben Deutschlands. Das Wasser ist wie die Luft – glasklar. Im Schilf tummeln sich die Vögel und am Strand braten braungebrannte Männer. Erst ziehe ich die Schuhe aus, dann alles andere. Warum sollte ich mich nicht anpassen? Und ich muss sagen, die Freikörperkultur gefällt mir. 


Als ich meine Hängematte in die Bäume Spanne kommt John dazu. Er erzählt vom See und seinem Leben, während die Abendsonne hinterm Ufer versinkt. Es wird frisch und ich ziehe mir nun doch etwas an. John geht in sein Auto, ich in meine Hängematte. 


Es ist ruhig. Das Wasser spiegelglatt. Und ich lausche den wenigen Geräuschen, die noch bleiben, während ich in einen tiefen und erholsamen Schlaf sinke.

 

Ich träume von Wasser. 


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