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Nicht Mein Tag

Ein Einblick in meinen schlimmsten Tag bisher. Ich habe mich bemüht, 99% der Schimpfwörter wegzulassen. Ganz ohne, wäre es aber auch nicht authentisch. 

Ich bin nass und voll Schlamm mir ist kalt und meine rechte Seite tut weh. Ich schreie und trete auf einen Prager Stromkasten ein. 


Wie ist‘n das jetzt passiert? 


Anfangs hat der Regen noch Spaß gemacht. Als Jacke und Hose noch dicht waren. Als sie nach 20 Kilometern Dauerregen durchlässig werden hört der Spaß auf. Immerhin finde ich 20 Kilometer weiter ein schönes kleines Café in Melnik, in dem ich mich umziehen und aufwärmen kann. Denn es sieht aus, als würde es für heute nichtmehr regnen. Zumindest bis ich wieder aufs Rad steige und weiter Richtung Prag fahre. Praktisch ab dem ersten Meter, fängt es wieder zu nieseln an. Noch weiß ich nicht, dass das erst der Anfang sein wird. Und auch nicht, dass ich Tschechien und insbesondere Prag bald schon für seine Radwege verfluchen werde. 


Aus Niesel wird Regen und aus Regen ein Guss. Nach kürzester Zeit ist auch die zweite Garnitur durch. Dass ich die Regenhose nicht wieder angezogen haben, „weil die ja ohnehin nichts gebracht hat“ erweist sich als Fehler. Denn es gibt viele Stufen von Nass. Und zwischen dem Wasserstand in Hose und Socken vom Vormittag und dem vom Nachmittag liegt mindestens ein Drei-Schluchten-Staudamm. Doch jetzt hilft alles nichts mehr, also fahre ich einfach weiter. Das Wasser rinnt meinen Körper hinunter, füllt meine Schuhe und läuft bei jedem Tritt zum untersten Schnürsenkelloch wieder heraus. Plitsch platsch, alles nass. Als Kind hab ichs geliebt nur in Unterhose durch den Regen zu rennen und Staudämme vor die Gullis zu bauen. Da wusste ich auch, dass Mama mich drinnen mit einem großen Handtuch, einer heißen Dusche und einem Tee erwartet. Heute beginne ich mein Herbeisehnen von Regen zu verfluchen. Wer ist denn so dumm, auf einer mehrmonatigen Radreise um Regen zu beten? Inzwischen läuft mir das kalte Wasser auch den Rücken hinab. Das wars dann wohl völlig mit der Regenjacke. 


Wenigstens komme ich gut voran. Zumindest solange, bis ich falsch abbiege und den EuroVelo 7 gegen einen schlammigen Waldweg eintausche. Wenig später bin ich nicht nur nass, sondern auch dreckig. Von oben bis unten. Und die Kälte beginnt mir so richtig in die Knochen zu kriechen. 


Und ausgerechnet dieser Umweg wird mir noch vollends zum Verhängnis. - oder sagen wir mal halbends. Denn gerade als ich wieder auf den richtigen Weg komme und durch eine Pfütze auf den Radweg fahren will, kracht es. Ich segle dem Bordstein entgegen und fange mich halbwegs elegant mit einer Rolle über die rechte Seite ab. Da war der Kantstein wohl doch nicht abgesenkt. Noch nasser als vorher – wenn das überhaupt geht – hebe ich Helge auf und inspizieren den Schaden. Die Gopro hat ne Schramme, sonst scheint alles fein. Ah ne… meine Hose ist eingerissen und mein Bein blutet…. Naja, was solls. Ich fahre weiter und pöble auf die Stadt ein, in welcher auch immer ich gerade auch sein mag. Ein herzliches f**kt euch an alles und jeden! Versteht mich ja sowieso keiner… 


Das hilft. Langsam rege ich mich ab und fahre weiter. Als Schock und Wut nachlassen und das Adrenalin abgebaut ist, wird mir aber erst so richtig kalt. Ich beginne ein Mantra aufzusagen.


„Mir ist warm. Mein Herz brennt in meiner Brust. Es pumpt und pumpt. Wie ein Motor, der meine Brust zum Glühen bringt. In meinem Herzen brennt es und die Hitze breitet sich in Brust und Schultern aus…“


Wieder hilft es. Aber der Berg den ich nun erklimmen muss, lässt vor allem meine Waden brennen. Und der Regen fällt immer weiter auf mich herab. 


„die Wärme fließt in meine Lenden und Leisten…“


Ich fahre weiter und weiter. Auf einem Schild prangt ‚Prag 22 km‘. Mindestens 5 Kilometer weiter sind es noch 20. Zwei Minuten später noch 14. Dann für die nächsten fünf Schilder 19. Ganz ehrlich… was wollt ihr eigentlich von mir? 


Das ist mir schon vor Berlin aufgefallen. Das „Hauptstadt Phänomen“. Radwege und Beschilderung werden im Umkreis von Hauptstädten immer schlechter. Warum? Keine Ahnung. Hat aber in 2 von 2 Fällen gestimmt. 


Ich holpere weiter. 


„Mein Herz brennt und die Hitze verteilt sich in jeden Finger. Daumen. Zeigefinger. Mittelfin…“


‚Prag 13 km‘


Immerhin sehe ich die Stadt nun, oder zumindest ihre in die Moldau-Hänge geschmiegten Vororte. Ein Radweg Schild führt mich nach rechts. Ich blicke den Weg hinunter. Nur Baustelle, Sand und Wurzeln. Also weiter die Straße entlang. 

Kurz darauf kracht es das zweite Mal. Nun, weil die Radweg-Beschilderung mich minutiös in die nassen Tram-Spuren lenkt. Inzwischen ist mein Körper steifer und die Rolle fällt weniger grazil aus. Und damit sind wir am Anfang der Geschichte. Ich schreie und trete auf einen Stromkasten ein. Ein Passant der mir helfen wollte, ergreift schleunigst die Flucht. 


Ich brauche ein paar Minuten, um mich zu sammeln. Stehe so dar, über Helge gebeugt, und frage mich, ob mit ihm wohl alles in Ordnung ist. Ist es! Danke man… wenns drauf ankommt, ist verlass auf ihn. 


Wir fahren die letzten Kilometer durch die Stadt. Zu Max – meiner Rettung für heute. Auf dem Weg falle ich noch zwei Mal fast auf die Schnauze. Regen, Rad und Prag – das versteht sich nicht. Und auch die Autofahrer scheinen mich nicht zu mögen. Doch dann bin ich da. Völlig im Eimer. Kann duschen und etwas runterkommen. Meine Sachen waschen und bekomme ein Abendessen. Dazu einen Gin-Tonic. Dann noch einen. Und langsam beginne ich die Welt wieder zu mögen. Langsam. 


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