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Kollektive Freiheit

Meine Reise hält viele neue Erfahrungen für mich bereit. Eine meiner liebsten bisher, ist meine Zeit in Ljubljana. Hier durfte ich lernen, was es heißt, Teil von einer Gruppe zu sein, die bedingungslos gemeinschaftlich an einem Traum arbeitet. Dem Traum von einem selbstbestimmten Leben.



Freiheit braucht Platz.


Und Zeit. 


Und ich, ich brauch Freiheit.


So ein Wort, das jeder für sich selbst definiert. Mehr als jemals zuvor, denke ich auf dieser Reise darüber nach, was es für mich bedeutet.


Frei zu sein. 


Meine Definition hat schon immer Freizügigkeit beinhaltet. Immerhin sind wir im Kern Nomaden. Und sich frei bewegen zu können ist wohl auch eines dieser Dinge, die ganz urtümliche Gefühle in uns auslösen. Gefühle die jeder kennt ohne die Genugtuung richtig zuordnen zu können, die damit verbunden ist. 


Wie wenn man ins Feuer schaut. Dem Meeresrauschen lauscht. Oder den Blick über den Horizont schweifen lässt. 


Freiheit von Ängsten gehört auch zu meiner Definition. Ein Privileg, das einen gewissen Wohlstand erfordert. Wenn dieser gegeben ist, sind die ersten zwei Ebenen von Maslows Bedürfnispyramide fast immer abgedeckt. 


Und sonst? Für Zica [jigga] die Freiheit im Kollektiv. Gemeinsam einen Mehrwert für das übergeordnete Projekt zu schaffen. Einen Lebensraum für alle zu gestalten. Einen Ort, an dem sich niemand eingeschränkt fühlen muss. 

Ohne sich dabei selbst aufzugeben. Stattdessen zu dem Menschen werden, der man sein möchte. 


Jedenfalls gehört das für mich dazu und Zica nickt.

 

Er ist Slowenischer Künstler, Autonomer, Urgestein der Hausbesetzungen, trägt karierte Hosen Lederjacke und eine leicht verborgene Stahlbrille, die schräg in seinem Gesicht liegt. Mit den zurückgekämmten, grau-melierten Haaren mutet sein Gesicht dem eines Greifvogel an. Nur etwas mehr Müdigkeit liegt darin. 


Kein Wunder, denn wir sitzen gerade hinter der alten Mensa und halten Nachtwache. Es ist 7:15 Uhr und die letzte Schicht ist eben schlafen gegangen. Seit meiner Zeit hier ist zwar noch nichts besorgniserregendes passiert, doch man kann nie sicher sein, wenn man in einer jungen Hausbesetzung steckt. Gerade mal fünf Tage ist es her, dass die autonome Szene Ljubljanas das völlig heruntergekommene Gebäude besetzt hat. Am ersten Tag waren über hundert Menschen dabei, um den Müll eines Jahrzehnts einzusammeln und die gröbsten Vorkehrungen zu treffen, um den Raum nutzbar zu machen. An Tag zwei wurde das Wasser angeschlossen, Strom organisiert, WLAN eingerichtet und Küche, Halle und Toiletten nutzbar gemacht. 


Seit Tag drei bin ich dabei. 


Wie das passiert ist, werde ich hier ständig gefragt. Denn so richtig versteht niemand, was dieser Hawai-Hemd-tragende Fahrrad-Tourist aus Norddeutschland hier eigentlich macht. 


Wie so oft hat es damit angefangen, dass ich auf Helge in eine Stadt rolle. Dieses Mal die Hauptstadt von Slowenien. Einem Land von dem ich keine Ahnung habe und bis vor kurzem nichtmal hätte sagen können, wo es auf der Karte liegt. Zu meiner Schande. Denn das wir so wenig über die kleinen Länder der EU-Peripherie lernen, grenzt fast schon an Imperialismus. Wie auch meine erste Frage, die ich ein paar Tage zuvor der Touristen-Informations-Mitarbeiterin stelle. Ehmmmm – welche Währung habt ihr hier eigentlich. 


Aber zurück zur Geschichte. Wie in Prag habe ich keinen richtigen Kontakt nach Ljubljana und auch Couchsurfing wollte nicht klappen. Nun steh ich aber auf dem Main-Square – über mir die Burg und unter mir der Fluss – und weiß sofort, dass ich gern bleiben will, um diese Stadt und dieses Land etwas besser kennenzulernen. Es müssen wohl Prager Techniken her. Also schaue ich mich ein wenig um, bis ich jemanden entdecke, der mir passend aussieht. 


Ein ein-ohriger Künstler, der gerade hochkonzentriert einen Brunnen in Öl verewigt. Ich spreche ihn an. Erst, ob er kurz auf mein Fahrrad gucken kann, während ich einkaufe, dann reden wir über seine Kunst. Er ist ein netter Kerl und wir kommen ins Gespräch. Schließlich stelle ich die erste von zwei Fragen, die mich wenig später zum PLAC-Pionier werden lässt. „Where would you go, to find someone, who would host me for a night or two?“ – hmmmmmm. Er überlegt eine Weile. Dann schickt er mich zur Metelkova. Eine ehemalige Kaserne, die gerade 29-jähriges Jubiläum der Besetzung feiert. 


Auf über 12.000 Quadratmetern ist hier allerlei zu entdecken. Ein bisschen sieht es aus, wie ein künstlerisch-autonomer Freizeitpark. Nur halt nicht ganz so schlimm kommerzialisiert. Nachdem ich die drei obligatorischen Dealer passiere, die an einem der Eingänge rumhängen und nicht zur Szene gehören, frage ich drei weitere Jungs, ob sie nen Schlafplatz frei haben. Verlegenes Kopfschütteln. Die Wohnungen sind einfach zu klein. Dafür erzählen sie mir von einem neuen Squat, viel kleiner als die Metelkova und gerade erst gestartet. Die suchen immer nach Menschen, die bereit sind dort zu schlafen. Ein Kollektiv lebt halt von den Menschen darin. 


20 Minuten später schiebe ich Helge durch das weiße Banner, dass schräg über dem Eingangstor hängt. In schwarzen Buchstaben prangt darauf PLAC. Wie Platz gesprochen, werde ich später lernen.


Auf der Terrasse angekommen, stelle ich meine Frage und zehn müde Gesichter nicken mir dankbar zu. 

Es ist harte Arbeit, sich Freiheit zu erkämpfen. Denn bevor ich ankam, war die Polizei mehr als einmal da. 


Doch PLAC besteht weiterhin. Und genau das ist es. Platz für alle, die Ideen haben und sie verwirklichen wollen. 

Solange die Allgemeinheit irgendetwas davon hat jedenfalls.


Eh ich mich versehe, bin ich eine ganze Woche dort und gehe im Gefühl der kollektiven Freiheit auf.


Sie ist mindestens genauso schön, wie meine individuelle Freiheit beim Reisen. Und beinahe, wäre ich ewig dort geblieben. 


Was mich gehen lässt, die stetige Erinnerung an meine Mission, wenn mir über Jugoslawien und den Krieg erzählt wird. 


Die Erinnerung daran, wofür ich mit meiner Reise einstehen will. 


Freiheit von Ängsten möglich zu machen. 


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