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Deutsch-Polnische Freundschaft

Es ist immer so eine Sache, besondere zwischenmenschliche Erfahrungen über den Moment des Kennenlernens und dessen Kontext hinaus zu beschreiben.
Denn im Gegensatz zu meinen einsam-schönen Gedanken in der Natur, bin ich unter Menschen nicht allein. Und so kann ich nur versuchen in Worte zu fassen, was eine Gruppendynamik ausmacht, ohnewirklich in die Köpfe und die Gefühle der anderen Menschen schauen zu können.

Trotzdem wage ich es hier, meine wunderbare Ankunft unter den Freunden einer alten Freundin zu beschreiben. Die Verbundenheit die mir vermittelt wurde und wie auch in diesem Fall, alles von der Nostalgie alter Kindheitserinnerungen kn goldenes Licht getaucht wird. 

Seit vier Tagen mache ich eigentlich nichts anderes, als die polnische Ostseeküste entlangzufahren. Angefangen auf Usedom, war der Weg die meiste Zeit schön bis fantastisch. Ich schlief an Stränden, deren Enden ich weder links noch rechts sehen konnte - mutterseelenallein. Aß herrliche Rösti, saftig frisch im Mund zerfallenden Rauchfisch und knuspriges Käsegebäck. Beobachtete Störche, Bieberburgen und lang anhaltend schreiende Greifvögel und verlor mich in der Schönheit und Einsamkeit polnischer Natur. 


All das, obwohl ich auf Helge jeden Tag 100km riss und neben radeln, essen und schlafen, nicht zu viel anderem kam. - ein klarer Vorteil, wenn der Weg das Ziel ist und Reisegeschwindigkeit und Schlafgewohnheiten es ermöglichen, auch unterwegs - quasi zwischendurch - das Land zu genießen und hier und da in Gesprächen die polnische Gastfreundschaft erahnen zu können.


Doch heute habe ich wenig für die Schönheit der Welt übrig. Nicht weil sie es nicht wäre - nein. Nur muss ich die meiste Zeit des Tages 100 Prozent meiner Aufmerksamkeit auf den Weg vor mir legen.


Während Dünen, Schilfmeere und Salzwiesen langsam von Mooren, Laubwäldern und Strohballen-gespickten Hügelwelten abgelöst werden, plage ich mich über die anstrengendsten Wege, die ich außerhalb Albaniens befahren habe. Dezimeter tief sinken Helges Reifen in den feinstaubigen Sand des polnischen Inlands, donnern furchterregend schnell zerklüftete Waldwege hinab und ziehen sich zäh über rasenüberwucherte Forstwirtschaftspfade. Und jedes Mal, wenn ich meine Erlösung doch in einem Streck‘chen asphaltierter Straße sehe, ist das Glück nur von kurzer Dauer und ich biege doch wieder ab. Im besten Fall auf brüchige Betonsteinplatten. Im schlechtesten auf Treibsandflüsse.


Zurückzuführen ist das auf meine Entscheidung den Weg nach Gdynia - einer polnischen Küstenstadt bei Danzig - durchs Inland abzukürzen. Denn dort wartet die Einladung einer alten Freundin mich zum Bonfire zu gesellen… und zwei Tage Kraft zu tanken, bevor der Lange Weg durchs Hinterland - vorbei an Kaliningrad - beginnt.


Wenn meine Gedanken also nicht fluchend über den Wegen kreisen, wie suchende Seeadler es über mir tun, denke ich an den Schüleraustausch, in dem wir uns kennenlernten. Über zehn Jahre ist es her - schon wieder ein Rückblick der sich sehr viel länger anhört, als er sich anfühlt - dass unsere Klassen zur Stärkung der Deutsch-Polnischen Freundschaft ausgewählt wurden, sich in Sopot/Gdynia und Ratzeburg kennenzulernen. Holprige Unterhaltungen auf Englisch, erste internationale Flirts, polnische Schimpfwörter, „What does the Fox say?“ und billiger Vodka gehen mir durch den Kopf. - und ja, aus irgendeinem Grund konnte ich mit 15 in Polen Vodka kaufen. Mit meinem aalglatten Babyface hatte das sicherlich nichts zu tun.


Ein bisschen frage ich mich auch, wie es wohl wird, sich nach so langer Zeit wiederzusehen. Der Hauch einer Sorge unangenehmer Entfremdung kommt auf, verfliegt aber beim Gedanken an herzlich ehrliche Lachschmerzen und jugendliche Mutproben wieder.


Außerdem habe ich ja ohnehin keine emotionale Kapazität mir Sorgen zu machen, während ich hasserfüllt auf den nächsten Kopfsteinpflaster-Anstieg blicke. 


90 Kilometer quälender Tortur später komme ich in Gdynia an. Den Staub der Straße auf der Haut und die Wut auf ebendiese unter ihr, fühle ich mich nicht gerade nach sozialen Getummel. Ich brauche eine Erfrischung und ein positives Gefühl. Da kommt der Stadtstrand und ein Sprung in die Ostsee gerade recht. 


Zwei Minuten im Meer und neben Schweiß und Fliegenschiss schwimmt auch die oberflächliche Schlechte Laune dahin.

Fünf Minuten später komme ich am Treffpunkt an und werde von einer strahlenden Daria begrüßt.


„It has been ten years, hasnt it?!“ - unfassbar, dass es sich anfühlt, als wäre es gestern gewesen. Das Lagerfeuer ist in vollem Gang und ich lerne die ganze Bande - von denen sonst niemand am Austausch partizipierte - kennen. Kamill ist Darias Freund, Ingenieur und Car-Guy, drückt mir sofort ein Bier in die Hand und erzählt mir grinsend wie sehr er sich freut mich zu hosten. Ich weiß sofort, dass das von Herzen kommt und ich hier niemandem zur Last falle. 

Kuba ist ebenfalls Ingenieur, erklärt mich für verrückt und erzählt mir im selben Atemzug von seiner Leidenschaft fürs Segeln - die er professionalisiert und zum Beruf gemacht hat. Es folgen viele weitere Namen, zu denen ich mir nur die Gesichter merken kann. Doch alle verbindet eine ehrliche Offenheit, die mir das Gefühl gibt, nicht das erste mal, sondern jedes Wochenende mit dieser Gruppe im Park zu sitzen und über Orange-roter Flamme knackig-knusprige polnische Würstchen  zu grillen. 


Spätestens jetzt ist der letzte Rest schlechter Laune verflogen. Ausgelöscht vom Geschenk polnischer Gastfreundschaft und einer glückseligen Freude über das Prinzip der Völkerverständigung.


Langsam wird der Abend zur Nacht, der Proviant neigt sich dem Ende und auch das Feuer wird kleiner. Ein Fakt der mich - inzwischen glückselig müde in die Flammen starrend - immernoch begeistert: Gdynia erlaubt seinen Einwohner:innen in ausgewählten Parks Feuer zu machen. Richtig große Lagerfeuer. Mit öffentlich zugänglichen und kostenlosen Holzvorrat. Man stelle sich das mal in Bundesrepublik vor. 


Daria sitzt wieder neben mir und fragt mich, wie ich noch wach sein kann. Objektiv betrachtet eine berechtigte Frage. Vor allem, weil die meisten von uns inzwischen den Heimweg angetreten sind. Auch wenn ich die Antwort in dem Moment nichtmehr ausformuliert bekomme, liegt sie doch auf der Hand. 


This is what its all about. Genau darum geht es. Meine Reisen - meine Neugier - Leben. Offenheit. Ehrlicher Austausch. Und das Schwelgen in Erinnerungen, während neue entstehen. 


Stattdessen sage ich irgendwas von der Energie der Natur, dem Meer, den Stränden, vom Radfahren und vom Feuer. 

Und auch das ist wahr.


Die letzte Erdbeere verschwindet und langsam gehen Sterne über den Baumwipfeln auf. Und schließlich - den Kopf irgendwo zwischen Erinnerung und dem Moment - machen auch wir uns auf den Weg. 


Ein weiches Bett, Wasser mit frischer Minze und Zitrone und die Frage, ob ich auch wirklich nichts mehr brauche - Dann schlafe ich ein. Mein letzter Gedanke, dass das ja wirklich funktioniert… das mit der anhaltenden deutsch-polnischen Freundschaft.

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter (Dienstag, 06 Juni 2023 05:22)

    Ich liebe es ,deine Texte zu lesen!
    Freue mich auf den Nächsten