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Vom Regen in die Trauung

In Finnland passiert viel. Ununterbrochen kommt mir das Glück zugeflogen, wenn ich ehrlich bin. 
Ich liebe dieses Land. Und die etwas zurückhaltenden und doch unfassbar herzlichen Menschen darin.
Deswegen hier die wohl größte Liebesgeschichte, meiner bisherigen Reisen.


Von Henris Hobo-Hütte falle ich direkt Muijala in die grad erweckten Arme und mache mal so richtig Pause – erst einen, dann zwei, dann vier ganze Tage. 

Es ist einfach zu schön, um weiterzufahren. 


Schließlich schaffe ich es doch und treffe am selben Abend Flo und Flo. Die halbe Nacht schlagen wir uns mit Radreisegeschichten aus ganz Europa um die Ohren.

Wenn ich in meinen täglichen Kurzgeschichten schon nicht hinterherkomme, dann erst recht nicht in meinem Blog, denke ich, als ich am nächsten Morgen durch den beginnenden Regen fahre. 

Aber der soll jetzt erstmal anhalten. Sicher wird es da ruhiger. Sicher kommt jetzt etwas finnische Tristesse, rede ich mir ein, während ich seit dem letzten Abschied gerade mal 25km auf die Straße gebracht habe. 

 

Und dafür ist es ziemlich spät. Doppel-Flo und ich haben uns nicht nur die halbe Nacht von unseren Abenteuern erzählt, sondern diese auch mit ein paar Bier begossen – und den heutigen Vormittag dann unter meinem Tarp verbracht. Um selbst nicht begossen zu werden…

Zeit für weitere Erzählungen. 


So kam ich erst gegen 13 Uhr los. Was soll’s denke ich. Werde genug Langeweile für lange Radfahr-Tage haben, wenn es die ganze Woche so gemächlich nieselt wie jetzt. Der einzige Grund warum ich nass bin, ist die Transpiration unter der Regenjacke. Dry Vent heißt die… leere Versprechungen, meckere ich mir in den Bart.

Dann kracht es richtig auf mich herab. Innerhalb von Sekunden wird aus mäßigem Niesel sturmflutartiger Platzregen und die Straße schwimmt mir davon. Immerhin wasserdicht ist die Jacke wirklich.

 

Keine zwei Minuten später sehe ich einen Pavillion durch eine Baumlücke blitzen. Da werd ich mich sowas von unterstellen, beschließe ich gerade, als ich um die Kurve biege und das zugehörige Restaurant sehe. 

Naja… wird sich schon niemand beschweren – bin schließlich in Finnland.

 

Und tatsächlich darf ich mich zu den Gästen stellen. Unter den weiß-roten Holzpavillon am hintersten Ende irgendeiner finnischen Bucht. In keinster Weise, sieht das Gewässer über dem der feine Dampf des harten Platzregens steht, nach der Ostsee aus. Und doch ist das Wasser salzig. 

Es prasselt aufs Dach und auch drinnen staut sich blauer Dunst. Die rauchende Gesellschaft beäugt mich zunächst skeptisch-schüchtern. Ebenfalls meine Wahl der Annäherung. Erstmal beobachten. Sehe einen Kilt und viele Tattoos. Bunte Haare, bemalte Männer-Nägel aber auch Fliegen und Sackos.

Die meisten in Kleid oder Anzug. Das ist doch nicht etwa, formt sich eine Frage in meinem Kopf, gerade als ein neuer Gast den Pavillon betritt. Der schwarze Regenschirm versperrt kurz die Sicht – schließt sich – orangene Haare und weißes Kleid… eine Hochzeit?! – ich fass es nicht!

 

Und natürlich finden wir schließlich ins Gespräch. Erst fragt Lotta mich, woher ich komm – dolmetscht ein bisschen für die Reihe rauchender Männer. Verhaltens Gelächter. Dann hat Eija einen Moment Zeit und spricht mich interessiert an. Sie ist die Frau des Tages, die Braut mit orangenen Haaren. Sie ist freundlich und begeistert, wirkt fast schon erleichtert, dass der Regen vielleicht doch etwas gutes mit sich gebracht hat. Ruft sogar Rico heraus – den Bräutigam, alle auf ein paar Fotos rauf, auch die Brautjungfern – das ist übrigens Ejva – sie hat wandernd Irland durchquert – und schon steht der nächste Programmpunkt an. 

 

Während sich der Pavillon leert, spreche ich mit Ejva, dem einzigen Menschen hier, der vollends versteht, wieso ich das eigentlich mache. Mit dem Fahrrad durch Europa meine ich. 

Inzwischen ist der Regen abgeklungen und ich erwarte schon, gleich einfach weiterzufahren. Doch die wandernde Brautjungfer hat einen anderen Plan, fragt ob ich Durst oder Hunger hab und dann geht sie rauf, fragt kurz noch die Braut, ob’s ok ist und winkt mich heran. 


Zugebebenermaßen bin ich ziemlich überfordert mit der Situation, als ich die Stufen zur Veranda des riesig-roten Holzhauses erklimme. Vorsichtig einen Blick ins Innere riskiere. Gefühlt drehen sich 150 Köpfe zu mir. Und alle die nicht im Pavillon waren, schauen mich mit großen Augen wie ein Auto an. Kein Wunder… Immernoch tropfend und mit zerzaust-nassen Haaren stehe ich in voll-schwarzer Regenmontur in der Terrassentür.

Trete ein, weiß nicht ganz ob’s ok ist, mit meinen Sau-dreckigen Schuhen und frage erstmal umständlich nach der Garderobe. Nachdem ich meine klitschnassen Klamotten gegen meinen feinsten Zwirn getauscht habe – Outdoorhose und blaues Fleece Hemd – fühle ich mich wesentlich besser aufgehoben. Also erstmal zum Tisch von Eija und Rico - danke sagen. Dann weiter zu meinem Platz am Brautjungferntisch. Und spätestens als ich mir den ersten Teller Kartoffel-Gemüse-Auflauf in den Bauch schlage und dazu einen Gin-Grapefruit Longdrink nach dem anderen in die Hand gedrückt bekomme – oriGINal finnisch – taue ich endgültig auf. Sprichwörtlich, denn bei der langen Pause im Pavillon ist mir ziemlich kalt geworden.

 

Im minutentakt werde ich von nun an gefragt, ob everything Alright is – Alright?! Perfect! Erwidere ich, nach jeder Dose, jeder Frage und jedem Gespräch ein dickeres Grinsen im Gesicht. 

 

Suomineito – du tust’s schon wieder!

 

Nach dem Essen wird gespielt, getanzt und gesungen – auf Braut und Bräutigam getrunken. Und gejohlt und gegrölt, wenn wieder ein Spiel zum Gefallen der Gäste ausfällt. Was ehrlicherweise fast jedes Mal der Fall ist. Denn eins ist offensichtlich: Dass für diese zwei gerade ein Traum in Erfüllung geht.

Jeder Blick, jeder Schritt, jedes gemeinsam gesungene Liedwort – wenn das keine echte Liebe ist, dann weiß ich auch nicht, wie sie aussehen soll.

 

Eija wirft den Brautstrauß und dann wird richtig gefeiert. 

 

Stunden später fahre ich sturztrunken und trotzdem unfallfrei noch ein paar Hundert Meter bis zur nächsten Windhütte. Eingeladen bei einem der Gäste zu schlafen wurde ich zwar, doch fahren sie allesamt zurück zu dem Strand, an dem ich die letzte Nacht noch mit Doppel-Flo verbracht habe. 30km südlich. Kein großer Streckenverlust aber der Gedanke daran die ganze Tour nochmal zu fahren, ist mir in diesem Zustand trotzdem zu blöd.

 

Und halb so wild – denn auch mir ist heute ein unbewusster Traum in Erfüllung gegangen. Als spontaner Gast auf einer Hochzeit empfangen. Denke ich noch, muss nurnoch in die Hängematte gelangen – und schlafe komatös ein. 


Viel Glück euch beiden!

 

Ich und Suomineito – das kann nur wahre Liebe sein.

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