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Stadt aus Eisen

Stadt aus Eisen - eine Geschichte über Kiruna, die mir unter den Fingern brannte. 


So sehr, dass ich kaum etwas anderes schreiben konnte.


Nicht nur weil ich in der größten unterirdischen Eisenmine der Welt eine unvergleichbare Erfahrung mache, nein, auch weil sie an zahllose Erfahrungen der letzten Jahre erinnert. Sie in ein Bild zu gießen scheint. Verschiedenste Probleme spiegeln sich mir in den eisernen Stollen wieder.


Vielleicht auch für euch?


Karl - der Name meines Hosts - ist ausgedacht, da er für die Schmuggel-Aktion seinen seinen Job verlieren würde. Alles andere gebe ich genau so wieder, wie ich es erlebe. Wie immer also.


Tonnen an Stahl rasen an meinem linken Ohr vorbei und ziehen mich an. LKW und Luftsog zehren an meinen Nerven. Ich atme durch und konzentriere mich meine Spur zu halten. Schneller zu fahren. Um diesen gottverdammt schmalen und doppelseitig beleitplankten Highway hinter mir zu lassen. 

Death-Road wird er von den Einheimischen genannt – zum Glück erfahre ich das erst später.

Drei Stunden später, um genau zu sein. Drei Stunden getrieben von donnernden Metalltonnagen in meinem Ohr. 70km - Neuer Rekord. Quer durch die Tannen-verhangene Taiga. 

Doch bekomme ich heute nichts von dieser mystischen Landschaft mit.

 

Tempo und Fokus. 

 

Fast, als würde mich ein riesiger Magnet anziehen. Was garnicht so weit von der Wahrheit ist. Immerhin fahre ich auf die größte unterirdische Eisenmine der Welt zu. 

 

Kiruna – die Stadt auf Eisen.

 

Als ich näher komme, fällt mir sofort etwas auf. Ein Geruch liegt in der Luft. Ein Geruch, den ich noch nie in meinem Leben gerochen habe. 

 

Karl – der Schwede der mich zu sich einlädt – weiß erst nicht was ich meine. Dann denkt er drüber nach. Und stimmt mir schließlich zu: ,Now that I think about it – it does smell like work‘. Seit zehn Jahren arbeitet er in der Mine. Zehn Jahre Bergbau, in denen sein Leben trotzdem in der Heimat stattfand.

Zwei Welten getrennt.

Für mich riecht es einfach anders, als überall sonst.

Eine Welt für sich.

 

Wonach – tatsächlich wird mir auch in den nächsten zwei Tagen keine Antwort darauf einfallen.

 

Karl erzählt mir vom schwarzen Schnee und 800km unterirdischen Straßen. Dem Restaurant 1.000 Meter unter der Erde und – und da ist er nicht der erste – von der Umsiedelung der ganzen Stadt. 

 

Das neue Zentrum wird um La Guna gebaut - dem Bistro, in dem ich völlig blau-äugig ankomme. Das Klingeln des Highways in den Ohren, frage ich mich, warum die Innenstadt so einen HafenCity-esken Eindruck auf mich macht. Drei Kilometer östlich von der alten Innenstadt, stehen viele der neuen Hochhäuser noch in Gerüste verpackt. Während auf den Straßen unter ihnen alt eingesessene Läden hinter neuen Gardinen versuchen irritiert wirkende Bewohner und Touristen von Alt nach neu zu ziehen. Alles ist delokalisiert.

 

Wie La Guna.

 

Im Neustadt-Laden gibt die junge Kellnerin mir einen ersten Eindruck: „Everyone liked the oldtown better“ – und ich verstehe warum, als ich das alte Restaurant später in der Geisterstadt unter Karls Wohnung entdecke. Nur die Schrift ist gleich geblieben. Die Seele noch nicht mitgezogen. Man kann nicht alles auf dem Reisbrett planen. 

Alle mochten die Altstadt lieber – doch auch wenn alle gegen den Profit stehen, muss die Wirtschaft wachsen. Ich kenne es aus Lützerath. 32.000 Menschen gegen das Schaufelrad. Und am Ende fällt das Land doch in seinen Schlund. 

 

Die Welt braucht Eisen.

 

Deswegen steht auch Kiruna am Abgrund.

 

Doch hier lerne ich nur Pragmatiker kennen – wenn es überhaupt Menschen gibt, die anders denken. Jobs und Eisen halt. Dinge, die die Menschheit braucht. 

Leuchtet ein, aber wenn wir Eisen so dringend brauchen, wieso bin ich dann allein – auf dieser Reise hunderte und aberhunderte Kilometer an rostenden Bahngleisen entlanggefahren? In meinem Kopf passt das nicht zusammen. Tonnen über Tonnen liegen überall in der Welt verteilt – Eisen. Vergessen in Autowracks und Fässern, Fahrrädern und den sinnlosesten Leitplanken. Oft genug, folgen die Maschinerien, die wir schaffen einem Selbstzweck. Tonnen aus Stahl fahren Tonnen von Stahl über Kilometer aus Stahl. 

Die Geister die wir riefen. Und irgendwann ist die ganze Erde weg.

 

Oder der Schnee schwarz und die Luft voll Staub.

 

Klar bin ich durch meine Arbeit als Kreislaufingenieur voreingenommen.

Die Stahlbewehrten Skelette verfallender Gebäude im Kopf.

Bilder der Größten Landmaschine der Welt – 14.200 Tonnen Stahlbagger reißen Lützerath in den Abgrund… 

 

Klar projiziere ich. 

Aber liege ich denn falsch?

 

Der Erste Blick in die Grube scheint meine Meinung zu bestärken. So riesig ist das überirdische Areal, dass ich erst garnicht verstehe, dass der eigentliche Eisenabbau unterirdisch stattfindet. 1.365 Meter tief. Und mit allen Abwasserseen, Schotter-Halden und Aufbereitungsanlagen schon an der Oberfläche größer als Kiruna – alte und neu Stadt zusammen. 

 

Wieder steigt Wut in mir auf. Spiegelt mein Bewusstsein das Sein – in der Zerstörungswut des Kapitalismus. Alles für den Fortschritt. Nicht fragen, ob wir sollten. Wozu auch, wenn man kann? 

 

Ich stehe in der Geisterstadt, aus der Mine schlägt mir nur der arktische Wind entgegen. Kiruna ihr eigenes Zeugnis. Keine Wut und keine Menschenseele. Stattdessen leere Wohnungen in Vierteln, die höchstens noch an temporäre Bergarbeiter vermietet werden.

Eine Stadt gebaut für die Mine. Eine Stadt weicht für die Mine. Aus Sicht von Karl kein Problem – er arbeitet ja nur hier. Lebt in besagten Temporär-Wohnungen. Hat kaum Bindung zum Ort und die, die er hat gilt – na klar – der Mine und den Kumpels. Den Menschen, mit denen Zusammenheit geschaffen wurde – zu Hause.

 

Ich denke an die Einwohner:innen von Kiruna? Wie geht es ihnen, wenn sie nicht nur ein zu Hause, sondern ihre Heimatstadt verlieren. Wie den Ureinwohner:innen, die ein ganzes Heimatland verlieren.  

 

6.000 Menschen müssen umsiedeln - ein Drittel des Ortes. Selbst die riesige Holzkirche wird bald im Ganzen relokalisiert.

So richtig zufrieden sind die meisten nicht mit der Situation. 

Doch ihre Haltung bleibt pragmatisch. 

Yes, the Management failed. Yes, promises were Not hold. Ja, alle mochten die Altstadt lieber. Doch deswegen demonstrieren? Gegen die Mine, die Hand die jeden Mensch hier füttert?

 

Fast Jeden.

 

Zwischen La Guna und Karls Wohnung, fahre ich am ersten Samen-Ort vorbei, den ich bewusst wahrnehme. Das Theater. 

Der Ort der Kultur, für eine aussterbende Kultur. Die Kultur, der weithin mit der Rentierzucht in Verbindung stehenden Ureinwohner Lapplands.

Das letzte indigene Volk Europas.

 

Leider werde ich auf meiner ganzen Reise, keinen einzigen dieser Menschen treffen.

 

Wie sehen sie was hier passiert?

 

Darüber bleibe ich aus Quellen und zweiter Hand informiert.

 

Doch das Bild ist eindeutig. Mindestens seitdem LKAB – der schwedische Eisenkonzern - vor aller Welt verkündete, dass nicht nur weitere unfassbare Mengen Eisen unter der Stadt gefunden wurden, sondern auch riesige Vorkommen seltener Erden im Umland. Deren Abbau zwar sprichwörtlich den Nutzungsanspruch der Samen untergraben würde und die Migrations-Pfade der Rentier-Herden zerriss - aber das klärt sich schon alles. 

Nachdem LKAB das Interesse Europas und der Welt auf die neu-entdeckten Ressourcen lenkte, bevor die Samen in irgendeiner Weise über deren Existenz und den damit aufkommenden Interessenkonflikt informiert wurden. 

Ein rücksichtsvoller Zug – gewiss.


Natürlich brauchen wir Eisen. Und natürlich brauchen wir seltene Erden - insbesondere für die Energiewende. Gleichzeitig brauchen wir auch kulturelle Vielfalt. Und eine lebenswerte Welt. In der wir gerecht miteinander umgehen.  

 

Und wie sollen es die Samen schon sehen, dass ihr Land aufgerissen und zerschnitten wird. Ihre Kultur entwurzelt? Abgerissen und neu aufgebaut. Nachdem sie seit Jahrhunderten unterdrückt und systematisch dekultiviert wurden – ähnlich wie Indigene in Kanada.

 

Sie sind wütend und wollen nicht, dass noch mehr Erde verwüstet wird. 

 

Ich würde gerne mit einem Menschen dieses faszinierenden Volkes sprechen. Mehr über ihre Perspektive erfahren und fragen, ob ich nur projiziere, was ich von anderen Indigenen Völkern weiß. Projiziere, was ich in Kiruna und gegenüber LKAB durch meine Erfahrungen im Ruhr-Kohle-Revier und mit RWE fühle und denke. 

 

Doch meine Vorstellungen spiegeln sich auch in den Gesprächen mit den Menschen Kirunas und in den Artikeln, die ich zum Thema lese.

 

Auch wenn die Info-Tafeln in der Kirche die Entwicklung der Stadt anders darstellen.

 

,Seit 1900 wird hier nach Eisen gegraben. Aus einer Eis-Wüste wurde eine blühende Zivilisation…‘ wer hat die Kirche gesponsert? Ah… der Eisenkonzern.

27 Mio. Tonnen fördert er hier. 

Genug um 2.700 Eiffeltürme zu bauen. 

Jedes Jahr. 

 

Aber was ist schon genug? 

 

Was bedeutet es, Zugang zum größten Eisenvorkommen Europas zu haben?

 

Der Frage gehe ich überraschend auf den Grund. Denn Karl nimmt mich kurzerhand mit in die Mine.

 

Auf der Pick-Up Ladefläche geht es dem Betontor entgegen - aus gigantisch-gelben Rohren steigt Dampf aus dem Boden. Riesige Muldenkipper schaffen Geröll auf die Halden. Künstliche Berge aus dem Berg.

 

Zwischen Pappe und Pick-up Klappe luschere ich in die Welt um mich – dann schluckt uns das Tor. Seine Optik eine Mischung aus Staudamm und Mordor-Bollwerk.

 

Sofort hören die Geräusche der Außenwelt auf.

 

Was bleibt - glatter Asphalt und grober Fels – die Welt schwarz-grau.

 

Die Hauptstraße im Berg ist zwar genau das - eine Hauptstraße - doch nach 500 Metern gehen die Lichter aus. Wer würde schon 800km Tunnelsystem beleuchten? Eine unvorstellbare Strecke – München-Hamburg, in Labyrinthen durch den Fels gebohrt. Tiefer, weiter, größer – effizienter. Wohin das Eisen liegt – auch unter die Stadt.

 

Weiter in den Berg.

 

Doch bevor es richtig steil wird, fahren wir gegen eine Wand - aus weißer Watte. Dichter Nebel scheint den Weg zu versperren. Markiert er den Übergang zum Minenklima.

 

100 Meter, dann 200.

 

Als es tiefer geht und die Straße ins Netz aufbricht wird die Sicht wieder klar. Immerhin bis zur nächsten Felswand kann man nun gucken. Weiß leuchtet der graue Fels, wenn er vom Flutlicht entgegen kommender LKW beleuchtet wird.

Tiefer und tiefer fräsen wir uns in den Berg. Riesig-flache Schaufelfahrzeuge liegen auf der Lauer. Bedrohlich warten sie auf die nächste Schicht.

Daneben werfen sich hunderte km/h schnelle Lastenaufzüge in den Abyss.

 

700 Meter.

 

Hier gabs den letzten Toten, deutet Karl nach links – Verschüttet – 2008 – die Mine ist eine der sichersten der Welt. Zumindest sagt er mir das.

 

Weiter durch die gesprengten Tunnel. Jede Nacht ist die Mine gesperrt – dann wird gesprengt. Tiefer und tiefer.

 

Werkstatthallen, vier Stockwerke hoch, sind sie doch beklemmend. Im Gegensatz zu Tolkiens Zwerg-Festen werden in echten Stollen keine kunstvollen Säulen als Tragwerk gelassen, sondern massive Felswände die auch große Räume, nicht nur schmal sondern eng einfassen. Restaurants, Tankstellen und Maschinenräume. Regallager und Belüftungskanäle.

 

1.000 Meter.

 

Nichts ist, wie ich es mir vorgestellt hätte. Noch absurder. Unordentlicher. Minenhafter.

 

1.300 Meter Fels liegen schließlich über meinem Kopf. Mehr als der höchste Pass, den ich je mit Helge überquerte.

 

1.300 Meter 

 

Fernab von Wind, Geräuschen und Luft die sich nicht veratmet anfühlt.

 

Fernab vom Himmel.

 

Fernab vom Licht.

 

Karl macht den Motor aus – kurz glimmen die Scheinwerfer noch – dann der Moment in dem absolute Dunkelheit über und hereinbricht.

 

Seit knapp einem Monat bin ich so weit nördlich, dass die Tage nicht enden. 28 Tage lang war meine Welt hell. Hier ändert sich das schlagartig.

 

Aus dem ewigen Licht in die absolute Dunkelheit. 

 

Wir steigen aus – im Schutz der Mine konnte ich längst auf den Beifahrersitz wechseln – und ich versuche zu verstehen, dass nichts übrig ist von der Wand – einen Meter vor mir, konnt ich sie grad noch sehen. 

 

Doch da ist nichts. Keine Finger vor meinen Augen, obwohl meine Hand durch die Luft wirbelt. Kein Fels, kein Auto kein Karl. Nur unser Atem und ein unregelmäßiges Tropfen von Wassersäulen, die sich von der Oberfläche bis hier unten durch den Fels kräuseln.

 

30 Minuten später atme ich erleichtert auf. 

Bin zurück im Himmel – denn ehrlich gesagt fühlt es sich genau danach an, als die Sonne die Wolken durchbricht und die weißen Bergspitzen in der Ferne glitzern.

Fühle Befreitheit. Und Erschöpfung. 

 

Scheinbar war ich wesentlich angespannter, als ich bemerkt oder zugegeben hätte. 

Einen Kilometer unter dem Fels.

 

Eine einzigartige Erfahrung. 

 

Ich bin nicht Klaustrophobisch. Doch ehrlich gesagt, verstehe ich jetzt noch viel weniger, wieso es die Mine gibt. Wieso Menschen sich freiwillig in die staubige Dunkelheit begeben. Tag für Tag und Jahr für Jahr. Doppelschichten und ihr halbes Leben dort unten verbringen. 

 

Die Frage kreist mir durch den Kopf, während mich meine Beine über die skandinavischen Berge tragen. Während 69 Wagons mit eiserner Fracht an mir vorbei fahren. Die gleiche Route, die Rentier-Herden seit jeher nahmen.

 

Wer hat das Wegrecht?

 

Die Tradition? Natur? Der Bedarf oder der Fortschritt? 

 

Eins wird mit jeder Erfahrung die ich mache deutlicher: Die Welt ist nicht Schwarz Weiß. Es gibt kein Gut und Böse. 

 

Vielleicht ist das die Moral von der Geschichte. Dass sich unsere Welt nur in Schwarz und Weiß teilen lässt, wenn wir uns entgegen jeden Verstand und jeder Natur, einem einzigen Ziel untergeordnet entfremden und immer tiefer in den Hasenbau graben. Bis uns so viele Abzweigungen von der Lebensrealität trennen, dass keinerlei ihres natürlichen Lichts - nichtmal Schatten auf der Felswand - zu uns durchdringen. 

 

Und nur das grelle Licht der Maschine bleibt, die wir selbst geschaffen haben.

 


Hundert Kilometer weiter bin ich immernoch erleichtert. Sitze nun über den Bergen statt unter ihnen und sehe die schneebedeckten Spitzen genau vor mir liegen. Die Winde des Nordmeers pfeifen über sie hinweg.

 

Bald komme ich an. Doch bin ich nicht traurig drum. Weil ich auf einen einzigartig leerreichen Weg zurückblicken kann. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Lea (Montag, 31 Juli 2023 20:05)

    Sehr stark!

  • #2

    Robert (Montag, 31 Juli 2023 22:08)

    Wow, beeindruckend Erfahrung, spannend geschrieben!