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Garten Eden

Seitdem ich zurück bin, habe ich mich viel umgeschaut. Sehe vieles mit kritischeren Blick und frage mich, woher der eigentlich kommt. 


Die Antwort ist am Ende leicht. Ich habe gesehen, wie es besser geht. Nicht nur auf meiner letzten Reise, auch auf allen davor. Daher möchte ich mich in den nächsten Wochen besonderen Orten widmen, die mich inspiriert haben. Orte, deren Erinnerung mein Leben nachhaltig bereichert.


Und wo könnte ich da anders anfangen, als im Garten Eden?

Hast du einen Garten und eine Bibliothek, so wird es dir an nichts mangeln. 


Diesen Satz habe ich das erste Mal in Ljubljana gehört. Kurz nachdem ich auf der Terrasse von PLAC aufschlug und Marko mir seine Vision für diesen Ort erklärte. Vier Tage später stand die Bibliothek, wo vorher nur Dreck und Chaos waren.


Seitdem habe ich viel darüber nachgedacht, was Utopien für mich bedeuten. Was sie ausmacht und wo ich schon über sie gestolpert bin.


Wenn Mensch mich fragt, sind es Orte, an denen Menschen an einem gemeinsamen Traum arbeiten. Wo Mensch sich respektiert. Sich frei fühlt. Und miteinander lernt. 


Eine Utopie ist für mich kein Zustand, sondern ein Prozess. 


Einer dieser Orte begegnete mir auf meiner ersten großen Radreise. Als ich auf dem Weg zu Le Mont Saint Michel die Nordseeküste und den Ärmelkanal entlang radelte. All die Emotionen durchlebte, die mich auch auf meinem Weg zum Olymp erfüllten. Euphorie, Zuversicht, Melancholie, Wut, Verbundenheit… und Überforderung. Eine Überforderung, resultierend aus einer alles umfassenden Erschöpfung.


Seit Tagen schlafe ich nun schlecht. Wieso weiß ich nicht, doch so erschöpft ich am Abend auch bin, so bekomme ich doch kaum ein Auge zu, wenn ich mich Nachts in meinem Zelt hin und her rolle. Erst denke ich, es liegt am Regen. An der Nässe, die sich durch all meine Sachen zieht, mich allgegenwärtig umgibt und auch in die letzte Faser meines Körpers und Geistes kriecht. Haute France – ein nasser Fleck. Dann denke ich es liegt am Wildcampen und der Sorge erwischt zu werden. Oder einfach an den teils ungemütlichen Plätzen, die ich mir unter diesen Bedingungen zum Schlafen aussuchen muss. 


Als ich die Bucht der Somme kurz vor der Grenze zur Normandie durchfahre, ist wieder so ein Moment der Müdigkeit. Ich male mir den Strand aus, an dem ich heute mein Lager aufschlagen will. Das Wellenrauschen und die warmen Steine. Wie ich sicher tief und fest schlafen werde. 


Den Strand finde ich. Den Schlaf nicht. 


Meine Entscheidung am Morgen: Ich brauche ein Bett. 


Ich denke nach und schaue mich über WWOOFING – einer Plattform, auf der Bio-Höfe Kost und Logis gegen etwas Hilfe anbieten – nach einem Gastgeber um. Ich finde Norbert. Ein mitt-fünfziger Franzose, Biologie-Lehrer, Hobby Gärtner und leidenschaftlicher Restaurateur. Einen richtigen Hof hat er im heutigen Sinne nicht. Doch eine helfende Hand kann er immer gebrauchen. 


90 Kilometer später komme ich auf seiner Clos-Masures an. Einer besonderen Hof-Form, die traditionell die Grundlage der Gesellschaft der Normandie bildete. Doch dazu später mehr. Denn ich bin völlig fertig. Und Norbert zeigt mir nach Tee und Kuchen sofort die Dusche und mein Schlafzimmer.

 

Erleichtert falle ich in die Federn. 


Und endlich kann ich in Ruhe schlafen. 


Die nächsten Tage verbringe ich hier. Hier in der Clos Masures – wo ich ausschlafen kann, weil es keine Zeit gibt, zu der die Arbeit beginnt. Hier wo ständig eine Suppe auf dem Herd blubbert und der Duft eines Kuchens aus dem Ofen strömt. Wo immer eine Kanne Tee auf der Theke steht, die in englischer Manier mit Zucker und Milch serviert wird. 


Mit meiner roten Tasse schlendere ich durch den Garten. Vögel zwitschern, Grillen zirpen, Frösche quaken. Alles sprießt nur so vor Leben – und fühlt sich fast zu paradiesisch an, um wahr zu sein. 


Doch dass es hier so schön ist, hat seinen Grund. Denn in dem Garten stecken Jahrhunderte von Wissen, das Norbert gerne mit mir teilt, während wir Kürbis-Setzlinge in ein Pferde-Apfel-garniertes Beet pflanzen, schiefe Wände mit hellem Holz verkleiden oder vom Traktor aus dornige Hecken schneiden. 


200 Meter reicht der Garten vom Haus bis zum Buchen-bewachsenen Wall, der das Grundstück auch zu den Seiten umfasst. 200 Meter - so weit reicht der Windschatten der Bäume. Schutz der dringend nötig ist, wenn stets eine steife Brise von Nord-Westen her weht. Schutz für die Apfelbäume, die Gemüse-Beete und das Haus und damals auch das Vieh. Letzteres halten Norbert und Elise – seine Frau – nichtmehr. Zu viel Arbeit. Dafür sprießen zahllose Blumen und geschwungene Zierhecken zwischen dem Gemüse hervor und unter bunten Bäumen schlummern Frösche im Schilf der kleinen Teiche. Weit weg von perfekt symmetrischen Formen, und doch strukturiert genug, um es einen alternativen französischen Garten zu nennen. 


Früher dienten die Hecken noch dazu, das Vieh aus den Beeten zu halten, während die Teiche als lebensnotwendige Wasserspeicher fungierten. Im sandigen Boden war das Grundwasser viel zu tief, als das Menschen Brunnen hätten graben können. Die Erde der Teiche kam wiederum auf den Buchen-Wall rund um die Clos-Masures und um ihr Wasser trinkbar zu machen, genügte der Alkohol aus dem Cider der Apfelbäume. 


Das alles lerne ich von Norbert. All diese Zusammenhänge, die sich schon vor Jahrhunderten ergaben, einfach weil Menschen ihre Umwelt studierten. Sie studieren mussten, weil sie in ihr lebten. Und es notwendig war, ganzheitliche Systeme zu entwickeln, die im Einklang mit der Natur funktionierten. 


Die Welt auszusperren, war keine Option. 


Ein Garten in Harmonie mit der Welt - offen für die Fremden, die über ihn stolpern - und eine wandelnde Bibliothek, gefüllt mit Wissen über das Leben. 


Aspekte, die in meiner Utopie nicht fehlen dürfen. 


Ich weiß nicht, ob Cicero recht hat. Ob das wirklich alles ist, was ich zum Leben brauche. 

Doch es ist viel. 


Wahrscheinlich genug. 


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